Aufklärung über Antisemitismus
Über 4000 Schulen gibt es in Baden-Württemberg, die der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Dr. Michael Blume in seiner Mission besuchen könnte, doch nur ein kleiner Teil von ihnen hat die Chance, Besuch von ihm zu bekommen.
Dank des Engagements der SMV des Gymnasiums Rutesheim für die Selbstverpflichtung, eine „Schule mit Courage – Schule ohne Rassismus“ zu sein und dank des 25-jährigen Schuljubiläums bekam das Gymnasium Rutesheim und die interessierte Öffentlichkeit am Freitag, 20. Mai 2022 die besondere Gelegenheit, einen eindrücklichen und sehr lebendigen Vortrag von Dr. Michael Blume zum Thema Antisemitismus heute hören zu können.
Um den Ursprung von Antisemitismus zu erklären, brachte Dr. Michael Blume eine in blauen Samt eingefasste Torarolle mit, in der mit 304.805 von Hand geschriebenen Alphabet-Buchstaben das Gesetz des Judentums zu lesen steht. Das Judentum ist die erste Religion des Alphabets und der Bildung. Seit über 3000 Jahren ist es seinen Angehörigen wichtig, dass jeder lesen und schreiben kann. Und damit begannen die Vorurteile und Verschwörungsmythen. Denn dem Judentum wurden, wie keiner anderen Gruppe, gerade wegen seines besonderen Bildungsniveaus und wegen seines engen Zusammengehörigkeitsgefühls jedwede Weltverschwörungen zugetraut.
Dr. Michael Blume führte anschaulich aus, wie diese Verschwörungsmythen sich in der Geschichte immer weiterverbreiteten. Dazu trug auch besonders das Aufkommen des Buchdrucks in Europa bei. Denn neben wunderbaren Werken erfuhr mit dem neuen Medium des gedruckten Buches nun auch Schreckliches immer weitere Verbreitung, wie etwa der „Hexenhammer“ gegen Ende des 15. Jahrhunderts, der Frauenfeindlichkeit mit Judenfeindlichkeit kombinierte und das Leben tausender Menschen kostete. Immer wieder verdeutlichte Dr. Michael Blume, wie frappierend dieses Muster der Nutzung neuer Medien zur Verbreitung von Verschwörungsmythen weiter existiert. Von den Nationalsozialisten, die gezielt Radio und das Medium Film einsetzten, um Juden zu zerstören, bis zum heutigen Beispiel des Sängers Xavier Naidoo, der durch die intensive Nutzung der sozialen Medien wie zum Beispiel seiner Telegrammgruppe eine enorme Reichweite für seine antisemitischen und demokratiefeindlichen Auslassungen erhält. „Da zahle ich mehr als gerne meinen Rundfunkbeitrag, die Kirchensteuer und das Abo der Tageszeitung, denn das trägt dazu bei, Meinungsvielfalt zu erhalten“, so Dr. Michael Blume.
Er glaubt nicht, dass die Zahl der Antisemiten wesentlich steigt, weiß aber, dass diejenigen, die so veranlagt sind, mit dem Internet einen höheren und damit auch gefährlicheren Wirkungsgrad erhalten. Und dass dieser Hass sich gegen weitere Gruppen und Menschen richtet, erfährt Dr. Michael Blume tagtäglich am eigenen Leib, weshalb er sich auch aus Eigenschutz von Facebook &Co zurückgezogen hat. Und er zeigte Beispiele auf, wo antisemitischer Hass und Versteigerung in Verschwörungsmythen sogar bis zur Auslöschung der eigenen Familie führen konnten.
Nur die dauernde Beschäftigung und Auseinandersetzung mit diesem Thema besonders in Schulen hilft vor weiterem Ausgreifen dieses Hasses.
Genau in diese Richtung gingen auch die drängendsten Fragen der Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen, die in der anschließenden Fragerunde von den Moderatoren Lilly Gohl (J1) und Vincent Frank (J2) vorgetragen wurden: „Was kann man im Alltag tun, wenn einem eine antisemitische Haltung begegnet?“
Wichtig ist laut Dr. Michael Blume die ernsthafte Beschäftigung mit dieser Haltung. Jedoch nicht im Sinn von beschimpfendem Dagegenhalten, sondern indem man deutlich macht, dass man anderer Meinung ist und dabei auch versteht, dass die Haltung des Gegenübers oft aus Ängsten entstanden ist, die sein bisheriges Weltbild geprägt haben. Bei Begegnung mit antisemitischen Äußerungen oder Posts im Internet gilt das Gleiche, hier könne man auch gut einen Podcast oder sonstigen Beitrag, der aufklärt, als Antwort verlinken. Diese und weitere Fragen der Schülerinnen und Schüler sowie der Zuhörerinnen und Zuhörer beantwortete Dr. Michael Blume mit großer Empathie und vielen persönlichen Einblicken. Als Botschaft zum Abschluss gab er mit, dass vor allem Bildungseinrichtungen nie aufhören dürfen, über Antisemitismus aufzuklären und dass in einer Demokratie Streit normal und wichtig ist, solange dieser sachlich bleibt.
Wir danken Herrn Dr. Michael Blume sehr für diesen äußerst interessanten und kurzweiligen Abend.
Andrea Frenzel
Abteilungsleiterin Kommunikation